NACHRUF MICHAEL HAMPE 1935 – 2022

Die meisten unserer Mitglieder der ‘Freunde der Kölner Oper’ werden die bestürzende Nachricht bereits den Medien entnommen haben. Wir trauern um Prof. Dr. Michael Hampe, von 1975 – 1995 langjähriger Intendant der Oper Köln, der am 18. November nach einer längeren und mit großer Geduld ertragenen Krankheit in Zürich verstorben ist. Michael Hampe, der vergangenen Juni sein 87. Lebensjahr vollendet hat, war ein ungemein liebenswürdiger und hoch geschätzter Künstler, dessen gelebte Synthese von Präzision und Behutsamkeit im persönlichen Umgang und in den Arbeitsabläufen für viele seiner Kollegen ein Vorbild war und bleiben wird.

Im Namen der Mitglieder und des Vorstandes der Opernfreunde Köln sei hiermit seinen Angehörigen und Freunden unser großes Mitgefühl zum Ausdruck gebracht. Wir trauern mit ihnen, verneigen uns und denken an den Verstorbenen voller Respekt und Dankbarkeit.

Prof. Hampe war Ehrenmitglied im Vorstand unseres Vereins. Dies wurde nach den notwendigen internen Klärungen und Abstimmungen im November 2007 durch den damaligen Vorsitzenden Dr. Heinrich Kemper ausgesprochen. Bei der gleichen Gelegenheit erhielt seine 2014 verstorbenen Frau Sybille die Ehrenmitgliedschaft des Vereins. Michael Hampe hat sich seinerzeit klar erkennbar gefreut, es gab in der Folgezeit nicht häufige, aber regelmäßige Kontakte und in Erinnerung bleibt sein schmunzelnd vorgetragener Dank „Ich bin froh, nun wieder ein Amt in Köln zu haben”, was anlässlich einer Veranstaltung unseres Vereins gesagt wurde, auf der er mit Uwe Eric Laufenberg über “Die Zukunft der Kölner Oper” diskutierte.

Kontakte mit ihm waren leicht und immer höflich und humorvoll. Es war Mitte der achtziger Jahre, der Verfasser der vorliegenden Zeilen war neu in Köln, ging oft und begeistert in die Oper und hatte sich an die Anfangszeit 19:30 h gewöhnt. Und dann wurde der ‘Rosenkavalier’ gegeben (Felicity Lott als Marschallin), Beginn 19 Uhr, was aber übersehen worden war. Ergebnis: Man stand kurz nach sieben Uhr ratlos im leeren Foyer, hörte von fern die Musik und dann näherte sich plötzlich ein Herr – es war kein Geringerer als der Intendant selbst – “Was ist denn mit Ihnen?”.…”Kommen Sie mit!” und es ging in eine Art kleine Loge, schallgeschützt, per Glas getrennt vom Zuschauerraum bei guter Übertragung der Musik und mit gelegentlichen Kommentaren des Hausherren zu dem Geschehen auf der Bühne. Es gab zwei Pausen, wobei eine von einem offenen und interessierten Gespräch bestimmt war. Daraus entstand ein loser Kontakt, der manchmal über das Grüßen hinausging und noch 2020 bei der ‘Zauberflöte’, Hampes letzter gefeierter Premiere in Köln, lebendig war. Mit vorliegender Schilderung sei ein wenig Licht auf die so liebenswürdige Facette seiner Persönlichkeit geworfen.

Die Medien bezeichnen seine Jahre in Köln als Glanzzeit und in der Tat spielte das Haus bereits beginnend mit Claus Helmut Drese (Ponnelle) zu seiner Zeit in der ersten Reihe. Dafür stehen u.a. Namen von Regisseuren wie Harry Kupfer, John Dew, Willy Decker, Achim Freyer oder Hans Neugebauer, letzterer z.B. mit legendären Inszenierungen wie Alban Bergs ‘Wozzeck’ oder Schönbergs ‘Moses und Aron’. In gleicher Weise ließe sich im Übrigen ein “Name-Dropping” der internationalen Sängerelite anfügen. Auch sicherlich bedingt durch diese Leistungen folgte dann nach seiner Kölner Zeit eine internationale Karriere als Regisseur und Opernexperte, die ihn mehrfach von Paris, Mailand und London über die USA und Sydney bis nach Tokyo führte, umrahmt von diversen Lehraufträgen an Musikhochschulen, einer Leitungsfunktion bei den Salzburger Festspielen, der Intendanz der Dresdner Musikfestspiele etc. Diese Erfolge wurden in den Medien ausführlich gewürdigt und sollen hier nicht weiter behandelt werden.

Wahrscheinlich ist ein Opernhaus nirgends auf der Welt ein Tempel der musikalischen Avantgarde, der progressiven Speerspitze und darum fällt es schwer, uneingeschränkt jenen zuzustimmen, die seine Arbeit unter der Überschrift des Kulinarischen abhaken und ihm ein konventionelles ästhetisches Empfindungsmäntelchen umhängen wollen. Zweifellos hat er sich nicht dem sogenannten Regietheater (man möge es definieren) in die Arme geworfen und immer die Vermittelbarkeit gegenüber dem Publikum im Auge behalten. In Köln hat er vor diesem Hintergrund aber die gesamt Bandbreite der Opernliteratur bespielt. Angefangen bei Monteverdi über die Klassik mit Mozart, Verdi, Wagner etc., die klassische Moderne mit Berg, Bartok, Strawinsky, Janáček, Britten oder arrivierter mit Henze, Penderecki und Schostakowitsch, ja auch bis hin zu Kagel (in Köln unter Birgit Meyer 2018 wieder aufgegriffen) und der ebenfalls kürzlich wieder neu inszenierten Oper ‘Der Meister und Margarita’ von York Höller.

In einem Interview 1995 äußerte Michael Hampe einen Grundgedanken seiner Arbeit: „Oper heißt, eine Geschichte durch Musik zu erzählen. Das heißt, es muss so aussehen, als würde durch den Vorgang auf der Bühne die Musik erzeugt.” Er verbindet dies – auch an sich selbst gerichtet – mit seiner und der „Verzweiflung sämtlicher großer Opernkomponisten”, dass die Institution Oper die Werke eher verhindert, als sie zu ermöglichen, und bezeichnet dies als Dilettantismus des Opernhandwerks, der eine Folge des Fehlens übergeordneter Beurteilungskriterien wäre. Hier und jetzt sei dahingestellt, ob dies wirklich möglich und auch ob es  wünschenswert ist, unverkennbar aber illustriert dieser Gedanke sein Postulat einer Werktreue mit Blick auf den Inhalt, den er bemerkenswerterweise und eigentlich auch “gegen den Strom” zumindest der Musik gleichgeordnet hat.

Aus diesen Gedanken resultierte seinerzeit auch der später überwundene Konflikt mit dem damaligen Kölner GMD James Conlon. “Prima la musica…” hilft gewiss einigen von uns, die Untiefen mancher Regietheaterkapriolen zu überdecken, was jedoch vor dem Hintergrund der Gedanken von Michael Hampe nicht die angemessene Reaktion ist. Für ihn soll die Musik “eine gehorsame Tochter der Dramaturgie” sein. Opernmusik ist dann Mittel zum Zweck, nämlich das Geschehen auf der Bühne auszudrücken. Es war seine Überzeugung, auf diesem Weg der Werktreue zu dienen. Dabei kommt aber nach unserer Überzeugung zu kurz, dass ein Musiktheater sich auch ausprobieren können muss, dass es Wege beschreiten darf und soll, die nicht geebnet sind und von denen man oft noch gar nicht weiß, wohin sie führen. Zum trial gehört der error. Und wir dürfen auch nicht darüber hinwegsehen, dass die meisten von uns in erster Linie wegen der Musik in die Oper gehen, der Komponist steht ganz oben, der Librettist irgendwann eher hinten.

Die Balance zwischen den Erfordernissen der Musik und dem Anspruch einer Regie einzuhalten und dabei zugleich die künstlerische Qualität zu wahren, das ist die Herausforderung für jeden Leiter eines Musiktheaters. Man könnte heutzutage manchmal den Eindruck gewinnen, dass es erheblich “einfacher” ist, sich in den Weiten eines zeitgeistigen Regietheaterplateaus zu bewegen und damit zumindest schon einmal den Applaus  des Feuilletons sicher zu haben. Insofern einfacher, als stattdessen die Mühen eines Suchens auf sich zu nehmen, die maßgeblichen Strukturen des Stückes originell und überzeugend-werkgetreu neu zu interpretieren, um derart den Gedanken und Zielen des Komponisten und des Librettisten  gerecht zu werden. So gesehen ist es sicherlich ein Verdienst von Michael Hampe, wenn er im Sinne einer künstlerischen Dialektik und damit zum Teil auch gegen den Trend die Seite der Werktreue gestärkt hat und dieser Position sein Leben lang treu geblieben ist.

Wir sind dankbar für seine Leistung und wir erinnern uns an unser Ehrenmitglied mit großer Anerkennung und Respekt angesichts seiner unvergesslichen Verdienste um die Kölner Oper!

Arnd D. Kumerloeve