Kölns Opernintendantin Birgit Meyer im Gespräch mit unserem Redakteur Norbert Pabelick
Geboren und aufgewachsen in Köln, begann Birgit Meyer parallel zu ihrer medizinischen Tätigkeit als Ärztin ein Theaterwissenschaftsstudium mit Schwerpunkt Musiktheater an der Ludwig-Maximilians-Universität München. 1989 erfolgte die Promotion zum Doktor der Medizin an der TU München, doch schon 1992 ging Birgit Meyer als Dramaturgin ans Tiroler Landestheater nach Innsbruck. 1999 wechselte Meyer als Chefdramaturgin und Direktionsmitglied für 10 Jahre an die Volksoper Wien, wo sie gemeinsam mit ihrer Assistentin Tanja Fasching das gesamte Angebot für Kinder und Schulen aufbaute. Während der Sommer 1997 – 2001 arbeitete Meyer regelmäßig für die Salzburger Festspiele (Leitung: Gérard Mortier). Lehraufträge u.a. im Studiengang Dramaturgie führten sie an die Bayerische Theaterakademie in München, an das Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien und an die Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. 2009 ging Birgit Meyer als Chefdramaturgin und Operndirektorin an die Oper Köln, seit Beginn der Spielzeit 2012/2013 leitet sie das Haus als Intendantin. Birgit Meyer hat zwei erwachsene Töchter.
Frau Dr. Meyer, wie haben Sie persönlich die Zeit seit der Schließung aller Opernhäuser im März dieses Jahres erlebt?
Als es am 12. März den ersten Lockdown gab, war ich sehr überzeugt, dass spätestens im Juni der Spielbetrieb wieder aufgenommen werden kann. Ich hatte wirklich keine Vorstellung davon, dass uns diese Pandemie so lange begleiten wird. Dann nach den ersten drei Wochen hat sich irgendwann mal kurzfristig doch ein Gefühl des Deprimiertseins eingestellt, nachdem mir klar wurde, welche Ausmaße dieses ganze Geschehen annimmt, und dass, wenn man ehrlich ist, uns diese Pandemie noch viele Monate beschäftigen wird. Viele Kulturschaffende wie auch ich haben ganz am Anfang gedacht, dass ein kleiner Stillstand mal ganz gut tut. Man ist doch erschrocken, wenn man in seinen Kalender schaut und merkt, wie viel man sich vorgenommen hat. Aber das waren nur Momente. Letztlich ist es doch ein ganz, ganz großer Verlust, dass Oper live so lange nicht stattfinden konnte. Ich habe das ganz besonders verspürt, als ich im Sommer bei den Salzburger Festspielen die Premiere von „Elektra“ erlebt habe. Das hat mich richtig körperlich erfasst, diese Freude und dieses intensive Erleben, ein großes Orchester und großartige Sänger live zu erleben.
Die Kölner Oper ist trotz der Einschränkungen durch Corona in der Stadtgesellschaft präsent geblieben. Was haben Sie sich alles einfallen lassen?
Nachdem wir uns sozusagen von dem Schock erholt hatten, dass der normale Spielbetrieb wirklich still steht, haben sich zunächst die Sängerinnen und Sänger des Ensembles und auch des Internationalen Opernstudios etwas ausgedacht. Sie wollten aus ihrer vollen häuslichen Quarantäne heraus einen kleinen Einblick geben, wie sie die Tage zu Hause mit Corona verbringen. In den vier bis acht Minuten langen Videoclips wurde immer wieder deutlich, wie groß die Leidenschaft des Singens bei allen ist. Dann haben wir uns überlegt, wie wir unser Projekt, Kinder und Demenzkranke bei Aufführungen der Kinderoper zusammen zu bringen, retten können. Wir sind mit zwei Sängern und einem Pianisten zu den Pflegeeinrichtungen gefahren und haben dort im Außenbereich in Abstimmung mit dem Gesundheitsamt „Ständchen“ gegeben.
Es war eine berührende Erfahrung, was der Gesang, was die Liveerfahrung dieses kleinen Konzerts für die Menschen in den Pflegeheimen, aber auch für Heimleitung und Personal bedeutet hat. Weiter haben wir eine Gesprächsreihe „Auf ein Wort mit der Intendantin“ konzipiert, in der jeweils zwei Gesprächspartner aus den unterschiedlichsten Bereichen der Oper – vom Einsatzpersonal bis zu den Orchesterwarten, den Leiterinnen der Maske oder dem technischen Betriebsleiter – Einblicke in ihre Tätigkeit an der Oper geben und so dem Publikum verdeutlichen, wie viele Menschen daran beteiligt sind, den Besuchern ein Opernerlebnis zu ermöglichen. Schließlich haben wir im Juni und Juli 11 Abende vor Publikum mit maximal 100 Gästen veranstaltet, wo Sängerinnen und Sänger aus unserem Ensemble und aus dem Internationalen Opernstudio aufgetreten sind. Diese Abende waren ein Vorlauf für uns, die mit dem Gesundheitsamt vereinbarten Hygienemaßnahmen – personalisierte Tickets, Maskenpflicht, Abstandsregelungen im Zuschauerraum usw. – auszuprobieren. Alles hat wunderbar geklappt.
Die neue Spielzeit wird nun am 3.10. mit Mozarts „Zauberflöte“ endlich eröffnet. Sie sind schon auf die Hygienemaßnahmen im Zeichen der Pandemie eingegangen. Wie schwierig ist es überhaupt, eine ganze Spielzeit unter Coronabedingungen im StaatenHaus zu planen?
Das ist in der Tat sehr schwierig, weil sich die Sicherheitsbestimmungen fast täglich, aber so gut wie immer innerhalb von 14 Tagen ändern. Wir haben ein Programm bis Karneval aufgestellt, das konform ist mit dem, was jetzt zur Zeit verlangt wird. Im Dezember werden wir entscheiden, was dann nach Karneval möglich ist. Wir wollen im kommenden März Bizets Oper „Carmen“ wieder aufnehmen, die in der Regie von Lydia Steier ein riesiger Publikumserfolg in der letzten Spielzeit war. Aber wir wissen im Augenblick noch nicht, ob im März überhaupt wieder große Chöre auf der Bühne singend auftreten können.
Zurück zur Zauberflöte. Regie führen wird Michael Hampe, der mit der Kölner Oper als dessen langjähriger Intendant in ganz besonderer Weise verbunden ist. Worauf dürfen wir gespannt sein?
Ja, die Zauberflöte ist ein Stück Welttheater. Michael Hampe hat sich mit keinem Werk der Opernliteratur so intensiv auseinander gesetzt wie mit der Zauberflöte, eigentlich ein ganzes Künstlerleben lang. Die Inszenierung hier in Köln ist durchaus ein künstlerisches Vermächtnis dieses großen Intendanten und Regisseurs, weil Michael Hampe mit dieser Inszenierung seine aktive Laufbahn als Opernregisseur beendet.
Sie spielen jetzt schon seit vielen Jahren in einer Interimsstätte, dem StaatenHaus. Wie ist Ihre bisherige Bilanz?
Ich möchte sagen, die künstlerische Bilanz ist sehr positiv. Ich glaube, wir haben das Beste aus dieser Situation gemacht, in der wir uns hier befinden. Wir haben eine für Opernaufführungen sehr besondere Spielstätte gut genutzt und der Oper als Genre tatsächlich auch zu einem Gewinn verholfen, indem wir Oper näher an das Publikum herangebracht haben und bringen. Das ist vor allem durch die Einlasssituation bedingt. Künstler und Publikum begegnen sich vor und nach der Aufführung sowie in der Pause im Foyer. Da wir keinen Orchestergraben haben und das Orchester z.T. neben der Bühne positionieren, befindet sich das Publikum zu den Künstlern und Orchestermitgliedern in unmittelbarem Kontakt. Dadurch wird für viele die Schwelle gesenkt, in die Oper zu gehen. Es ist ja immer noch ein Thema, dass Oper Hochkultur ist, also nur etwas für eine kleine „Schicht“ und nichts für die breite Bevölkerung. Wir haben in den letzten Jahren bewiesen, dass Oper etwas für alle ist, dass hier jeder seinen Platz findet.
Apropos Bilanz: Man muss festhalten, dass die Situation im StaatenHaus für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus allen Abteilungen des Opernbetriebseinen unglaublich hohen zusätzlichen Arbeitsaufwand bedeutet, da es hier im StaatenHaus keinen Platz für alle Gewerke gibt. Die Bühnen sind auf 38 Standorte in Köln verteilt. Da ist es nicht selbstverständlich, ein Wir-Gefühl zu entwickeln. Diese Zerrissenheit, der ungeheure Zeitaufwand für Fahrten und vieles mehr verlangen allen ungeheuer viel ab. Dennoch fällt mein Resümee positiv aus. Wir erleben hier im StaatenHaus eine sehr erfolgreiche Zeit als Oper Köln.
In den letzten Jahren haben viele Weltstars im StaatenHaus gesungen. Ich nenne nur Catherine Foster, Marina Prudenskaja, Peter Seiffert, Matti Salminen oder Martin Kränzle.Was reizt diese Weltstars an der besonderen Situation im StaatenHaus?
Zuerst einmal: Weltstars wollen wie alle anderen Sängerinnen und Sänger gerne auftreten, wenn es sich um ein interessantes Werk, eine interessante Regisseurin oder Regisseur handelt, wenn es einfach passt und das ganze Team stimmt. Wir haben zudem mit dem Gürzenichorchester ein hervorragendes Orchester an Bord. Hinzu kommt Folgendes: Wir arbeiten jeden Tag in dieser Ausnahmesituation des StaatenHauses. Das ist für uns Alltag. Für Künstler, die von außen kommen, ist das aber eine spannende neue Erfahrung. Nicht zuletzt bemühen wir uns sehr um unsere Gäste. Die Weltstars spüren einfach, dass hier alle an einem Strang ziehen, dass man künstlerisch für etwas steht in diesem Haus.
Die Kölner Oper ist für ihre theaterpädagogische Arbeit in der „Kinderoper“ 2019 mit dem Preis „Bestes Education-Programm“ ausgezeichnet worden. Was macht den Erfolg der Kinderoper, die ja von UNICEF als Pate auserwählt worden ist, aus? Was liegt Ihnen hierbei besonders am Herzen?
Also als erstes einmal: Ich liebe Kinder. Es ist für mich etwas ganz Selbstverständliches, sich Gedanken darüber zu machen, wie man Oper für Kinder erschließen kann. Hier in Köln gab es unter der Leitung von Franz Rohde schon gut 20 Jahre Theaterpädagogik vom Feinsten, als ich 2009 dazu kam. Meine Leidenschaft in Sachen Kinderoper fiel also auf fruchtbaren Boden. Während meiner Intendanz habe ich nicht nur finanziell viel in die Kinderoper investiert. Für unsere einstündigen Aufführungen haben wir reduzierte Orchesterformate konzipiert und so ein breites Repertoire geschaffen. Oper soll für alle da sein. Es gibt viel zu wenig Menschen, die wissen, wie besonders und schön und wohltuend ein Opernbesuch ist.
Weitere Auszeichnungen für die Kölner Oper waren z.B. der Rudi Assauer Preis für das Engagement der Oper für Demenzkranke, der Kölner Kulturpreis für die Aufführung von Zimmermanns „Soldaten“ oder der German-Design Award. Worauf sind Sie besonders stolz?
Ich bin natürlich auf alle Preise stolz, aber der Kulturpreis für „ Die Soldaten“ von Bernd Alois Zimmermann ist schon eine besonders große Freude gewesen, weil diese Oper von Zimmermann ja so eng mit der Oper Köln verknüpft ist. „Die Soldaten“ wurden für die Oper Köln geschrieben, sie haben sich im Nachhinein als ein Schlüsselwerk der Moderne erwiesen, das von Köln seinen Siegeszug angetreten hat. Uns ist wirklich eine Aufführung mit ungeheurer musikalischer Qualität geglückt. Unter der Leitung unseres Generalmusikdirektors Francois Xaver Roth hat das Gürzenichorchester fulminant aufgespielt. Viele Rollen konnten wir mit dem Ensemble besetzen. Auch Zimmermanns Tochter, Bettina Zimmermann, und einer seiner Schüler waren von der Aufführung überzeugt, das ist schon ein großes Glück gewesen. Es gehört ja in Köln zur Tradition des Hauses, dass zeitgenössische Musik gespielt wird. Dass wir in der Pflege der zeitgenössischen, mindestens aber modernen Musik einen so großen Erfolg hatten und haben, das macht mich stolz.
Das Internationale Opernstudio der Oper Köln ist das älteste Opernstudio in Europa und wird durch den „Verein der Freunde der Kölner Oper“ tatkräftig unterstützt. Wie wichtig ist für Sie diese Keimzelle künftiger Opernstars, wie wichtig ist für sie die Zusammenarbeit mit dem Förderverein?
Das Internationale Opernstudio hat einen großen Stellenwert an diesem Haus. Mittlerweile setzt sich der größte Teil unseres Ensembles aus ehemaligen Opernstudiomitgliedern zusammen. Ich denke da an Mijenko Turk, Regina Richter, Samuel Youn und viele andere. Ich habe in den letzten Jahren mindestens eine Sängerin oder einen Sänger aus dem Internationalen Opernstudio in das Ensemble übernommen. In der kommenden Zauberflöte singen mit Kathrin Zukowski als Pamina, mit Adriana Bastidas-Gamboa als 2. Dame, mit Matthias Hoffmann und Wolfgang Schwaiger als Papageno, mit unserem großen Tenortalent Young Woo Kimviele ehemalige Mitglieder des Opernstudios tragende Partien. Mit Rainer Mühlbach, der ein großer Dirigent und ein phantastischer Musiker ist, hat das Opernstudio einen Leiter, der sich mit leidenschaftlichem Einsatz um seine Schüler und deren künstlerische Entwicklung kümmert. Die jungen Leute singen vornehmlich in der von Brigitta Gillessen geleiteten Kinderoper. Brigitta Gillessen arbeitet hoch professionell und mit großem Erfolg an den schauspielerischen Fähigkeiten unserer Stipendiaten. Ohne den „Verein der Freunde der Kölner Oper e.V.“ könnten wir diese pädagogische Arbeit nicht stemmen. Der Verein übernimmt einen festen Teil der Gage. Besonders wichtig ist aber auch, dass Vorstand, Beirat und Mitglieder des Vereins sich auch privat um die jungen Leute kümmern, Hauskonzerte veranstalten oder private Einladungen aussprechen. Die jungen Leute, die aus der ganzen Welt zu uns kommen, spüren, dass sie von vielen umgeben sind, die ihre Karriere sachkundig und wohlwollend begleiten.
Wenn wir einen Blick in die Zukunft wagen. Welche Chancen sehen Sie für die Kölner Oper? Welche Gefahren?
Ich fange an mit den Chancen. Das Haus ist jetzt im Interim sehr gut aufgestellt. Weltstars kommen gerne zu uns, demnächst Ausrine Stundyte, die gerade als Elektra in Salzburg triumphiert hat und übrigens ihre Karriere in Köln begonnen hat. Die Kölner Oper steht jetzt
künstlerisch sehr gut da und ist international bestens vernetzt. Das sieht man an den Koproduktionspartnern, dem Teatro Real in Madrid, der Oper Amsterdam, der Oper an der Wien, den Bregenzer Festspielen oder der Opéra Comique in Paris. Ich hoffe, dass das Haus am Offenbachplatz 2023/24 wieder seine Pforten öffnet. Sollte noch eine weitere Verzögerung bei der Fertigstellung des Riphahn-Baus auftreten, dann wird es natürlich sehr schwierig. Wann auch immer man an den Offenbachplatz zurückkehrt, sollte man aber vor allem diese Jahre im Interim nicht vergessen. Denn sie haben die Oper Köln trotz aller Schwierigkeiten auch ein Stück weit in die Zukunft geführt. Die Oper Köln hat bewiesen, dass Oper im Grunde überall funktioniert, sogar auf einer Wiese vor einem Pflegeheim mit zwei Sängern und einem Pianisten am Klavier, dass man diesen Zauber des Gesangs, der Musik, dieses Sich-Richten an das Publikum unter allen Umständen und überall machen kann, wenn man es nur will. Ich würde mir wünschen, dass die Oper am Offenbachplatz diese Vergangenheit immer im Kopf hat und dass sich diese Wachheit und Aufgeschlossenheit der Interimsjahre auch im neu eröffneten Haus einen Weg bahnen.
Frau Dr. Meyer, ich bedanke mich sehr herzlich für dieses Gespräch!
Norbert Pabelick 30.09.2020
Bilder (c)
von den Soldaten und Peter Grimes / Leclaire / Uhlig / Frau Meyer / Theresa Rothwang